Bernkastel im goldenen Herbst: Ein erster Eindruck von der Moselstadt

Ende November, vom 28. bis zum 31. November, durfte ich auf Einladung und in Zusammenarbeit mit der Stadt Bernkastel-Kues ein paar Tage an der Mosel verbringen. Ziel war es, diesen Ort besser kennenzulernen. Seine Menschen, seine Weine und das, was Bernkastel so besonders macht.

Schon bei meiner Ankunft zeigte sich die Stadt von ihrer besten Seite: Der Regen hörte auf, die Sonne kam hervor, und über den Hängen lag ein warmes, goldenes Licht. In den folgenden Tagen traf ich auf Menschen, die mit Leidenschaft und Handwerk, mit Tradition und einer guten Portion Mosel-Charme das prägen, was Bernkastel ausmacht.

Zwischen alten Mauern, Weinbergen und kleinen Werkstätten entstand dabei ein Bild einer Stadt, in der Geschichte und Gegenwart auf besondere Weise ineinandergreifen. Eine Reise voller Begegnungen, Eindrücke und Geschichten, die man nur hier erleben kann.

Blick von der Moselbrücke auf Bernkastel: Im Vordergrund die Kirche St. Michael, dahinter die Steillagen Bernkasteler Lay und Bernkasteler Doctor. Zwei der bekanntesten Weinlagen der Mosel.

Zwischen Bernkasteler Lay und Bernkasteler Doctor: Die besonderen Weinlagen von Bernkastel entdecken

Mein erster Termin führte mich an das Moselufer, wo ich Ralf traf. Der 60-Jährige arbeitet in der Vinothek des St.-Nikolaus-Hospitals. Wir schlenderten am Wasser entlang, die Mosel glitzerte, und über den Weinbergen lag dieser typische, sanfte Nebel, der langsam der Sonne wich.

„Ich bin hier in Bernkastel angestellt, beim St.-Nikolaus-Hospital, in der Vinothek“, erzählt Ralf, während wir stehen bleiben und auf die Weinberge gegenüber blicken. „Ich mache Weinpräsentationen, Weinproben und den Verkauf. Sowohl von unseren eigenen Weinen als auch von rund 98 Weingütern der Mosel. Wir decken hier wirklich das ganze Anbaugebiet ab, von der Ober- bis zur Untermosel.“

Ralf ist kein gelernter Winzer, aber einer, der mit Leidenschaft bei der Sache ist. „Ich komme eigentlich aus einer ganz anderen beruflichen Ecke“, sagt er. „Aber Wein hat mich schon immer fasziniert und das, was ich hier mache, das ist wirklich meins.“

Wir gehen weiter, und er zeigt nach oben auf die gegenüberliegenden Steilhänge. „Da hinten siehst du die Bernkasteler Lay, daneben den Bernkasteler Graben und die Bernkasteler Badstube und da oben, das ist der legendäre Bernkasteler Doctor.“

Ich folge seinem Blick. Der Hang ist so steil, dass man fast meint, er würde in den Himmel kippen. Die Sonne lässt den Schiefer glänzen. „Was macht diesen Weinberg so besonders?“, frage ich.

„Der Doctor ist sagenumwoben“, sagt Ralf. „Er soll im Jahr 1360 den Kurfürsten Boemund II. von Trier von einer schweren Krankheit geheilt haben. Ein Winzer brachte ihm damals ein Fässchen seines besten Weines und der Legende nach wurde Boemund gesund, nachdem er davon getrunken hatte. Seitdem trägt der Weinberg den Namen Bernkasteler Doctor, der Berg des heilenden Weins.“

Der historische Marktplatz in Bernkastel ist das Zentrum der Altstadt. Rund um den Michaelsbrunnen reihen sich kunstvoll restaurierte Fachwerkhäuser.

Diese Geschichte, erzählt Ralf, habe dem Wein nicht nur seinen Namen gegeben, sondern auch seinen Ruhm in die Welt getragen. „Heute sind es nur 3,126 Hektar, die diesen Titel tragen dürfen, allesamt namensrechtlich geschützt. Die Weine gehören zu den renommiertesten der Mosel.“

Wir bleiben kurz stehen, der Wind weht leicht vom Fluss her. Ralf spricht über die Böden. „Hier rund um Bernkastel findest du fünf verschiedene Arten von Schiefer: Buntschiefer, Grauschiefer, Rotschiefer, Blauschiefer und sogar ein bisschen Schwarzschiefer. Jeder Boden gibt dem Riesling seinen eigenen Charakter. Mal fruchtiger, mal kräutriger, mal mineralischer. Und das ist das Spannende: fünf Winzer, dieselbe Lage, aber jeder Wein schmeckt doch anders.“

Zum Schluss frage ich ihn nach seinen persönlichen Empfehlungen für Bernkastel.
„Nummer 1“, sagt Ralf ohne zu zögern, „ein Spaziergang durch die Altstadt. Die Fachwerkhäuser stammen aus dem 14. und 15. Jahrhundert, das ist Moselromantik pur. Nummer 2: Eine Weinprobe, am besten hier bei uns in der Vinothek. Wir haben die gesamte Mosel im Angebot. Über hundert Weingüter. Und Nummer 3: Ein Besuch der Burg Landshut, einfach wegen des Blicks. Von dort oben siehst du Bernkastel, die Mosel und dieses ganze Tal, das ist einfach wunderschön.“

Blick von der Burg Landshut auf Bernkastel und die Mosel: Ein Panorama, das Geschichte, Weinlandschaft und Moselromantik vereint. Am schönsten zu genießen bei einem Glas Riesling im Burgrestaurant.

Über den Reben von Bernkastel: Ein Spaziergang mit Weinprinzessin Cora Weber

Nachdem ich mich von Ralf verabschiedet hatte, traf ich mich oben auf dem Doctorberg mit Cora Weber, der Weinprinzessin von Bernkastel-Kues. Sie studiert Lehramt in Trier, engagiert sich im Heimatverein und ist als Weinprinzessin viel unterwegs, um Bernkastel und seine Weine zu repräsentieren. Zwischen den steilen Rebhängen erzählte sie mir, warum Bernkastel für sie mehr ist als nur ein schöner Moselort. „Hier fühlt man sich einfach wohl“, sagte sie, während wir den Blick über die Altstadt schweifen ließen.

Cora sprach über die Menschen, die Feste und diese besondere Stimmung, die in Bernkastel entsteht, wenn im Frühjahr die Weinfeste beginnen und die ganze Stadt gemeinsam feiert. „Man wächst hier nicht nur auf, man wächst hinein“, meinte sie.

Unter uns leuchtete die Stadt im goldenen Licht, und ich verstand, was sie meinte: Bernkastel hat eine Anziehungskraft, die man erst begreift, wenn man hier oben steht.

Christina Thanisch: Weinleidenschaft in der zwölften Generation

Nachdem ich mit Cora Weber oben auf dem Doctorberg unterwegs gewesen war und wir über Bernkastel, seine Menschen und seine Weinlagen gesprochen hatten, machte ich mich wieder auf den Weg ins Tal.

Das Licht über der Mosel war inzwischen weicher geworden, und die goldenen Blätter spiegelten sich im Wasser. Ich wollte mehr erfahren. Über die Menschen, die hier seit Generationen Wein machen, über ihre Geschichte und ihren Blick auf die Zukunft. Mein nächstes Ziel: das Weingut Witwe Dr. H. Thanisch.

Dort begrüßte mich Christina Thanisch, 33 Jahre alt, Winzerin in der zwölften Generation. Sie steht vor dem alten Weinkeller ihres Familienbetriebs, der mitten in Bernkastel liegt, am Fuß des legendären Bernkasteler Doctor.

„Ich bin Christina Thanisch vom Weingut Witwe Dr. H. Thanisch – Erben Thanisch“, sagt sie mit einem Lächeln. „Das Weingut wurde 1636 gegründet, und ich bin die zwölfte Generation. Seit 1895 heißt der Betrieb Witwe Dr. Thanisch, weil damals meine Ur-Ur-Ur-Großmutter das Weingut als junge Witwe mit drei Kindern übernommen hat. Eine absolute Ausnahme für die Zeit.“ Christina erzählt, dass der Betrieb seither immer von Frauen geführt wurde. „Wir sind jetzt in der vierten und fünften weiblichen Generation. Meine Mutter und ich führen das Weingut gemeinsam.“

Ein Stück Weinbaugeschichte, das man fast spüren kann, als wir durch das schwere Kupfertor des alten Kellers treten. „Der wurde um 1650 gebaut“, erklärt sie. „Mein Ururgroßvater hat ihn 1882 gekauft. Früher war er ein Eiskeller. Damals, als es noch keine Kühlschränke gab. Heute lagern hier unsere ältesten Schätze.“


Der Eingang zum historischen Doktorkeller des Weinguts Witwe Dr. H. Thanisch in Bernkastel. Ein Stück Weinbaugeschichte in Stein und Metall. Hier beginnt die Legende vom Bernkasteler Doctor und man spürt, dass dieser Ort mehr bewahrt als nur Wein.

Das Tor ist mit Symbolen verziert, die auf die berühmte Legende des Bernkasteler Doctor anspielen. Christina zeigt nach oben: „Hier siehst du Kurfürst Boemund II., den die Legende betrifft. Er wurde der Sage nach durch einen Wein aus diesem Berg geheilt. Der Winzer brachte ihm ein Fässchen seines besten Weines, und Boemund soll tatsächlich genesen sein. Seitdem gilt der Weinberg als Berg des heilenden Weins und wir dürfen dankbar direkt darunter arbeiten.“

Im Keller riecht es nach feuchtem Stein, alten Fässern und einer Spur Geschichte. Christina zündet das Licht an, es wird dämmrig und still. „Viele sind überrascht, wie weit der Keller in den Berg hineinreicht. Er teilt sich in zwei Kammern, und hier unten haben wir sogar eine natürliche Quelle. Das Wasser kommt direkt aus dem Hang.

Wir probieren eine Bernkasteler Doctor Spätlese aus 1998, tiefgolden im Glas. „Der hat 27 Jahre auf dem Buckel“, sagt Christina, „und ist immer noch frisch. Der Doctor ist ein Wein mit Rückgrat: salzig, mineralisch, elegant. Selbst nach Jahrzehnten behält er diese Lebendigkeit.“ Ich nehme einen Schluck, und sie hat recht. Der Wein ist straff, präzise, mit dieser typischen Mosel-Leichtigkeit.

„Unsere älteste Flasche hier unten ist übrigens von 1921“, erzählt sie weiter. „Das war der erste Jahrgang, in dem an der Mosel überhaupt Trockenbeerenauslesen möglich waren. Während des Kriegs hat man viele dieser Schätze hinter einer Wand versteckt und erst Jahre später wiedergefunden.“

Als wir weiter durch den Keller gehen, spüre ich, dass hier mehr mitschwingt als Geschichte. Es ist Leidenschaft und ein tiefes Bewusstsein für Herkunft. Christina sagt: „Im Doctor-Berg arbeiten wir fast ausschließlich mit 60 bis 80 Jahre alten Reben. Alles wird von Hand gelesen. Das ist harte Arbeit, aber es lohnt sich, weil man jedes Jahr spürt, was dieser Ort kann.“

Zwischen Schiefer und Eichenholz zeigt sich, was Weinbau an der Mosel bedeutet: Geduld, Handwerk und Respekt vor der Natur.

Christina Thanisch und der Doctor – Wein, Mosel und Lebensfreude

Später am Nachmittag fuhren wir hinüber zum Weingut selbst. Die Sonne stand schon tief, das Licht lag golden über den Reben, und von der Terrasse aus bot sich dieser typische Blick auf die Mosel, die Burg Landshut und die Weinberge, die sich in weiten Bögen entlang des Flusses zogen. Ein Ort, an dem man automatisch ein bisschen langsamer atmet.

„Im Sommer ist hier alles voll“, sagt Christina, während wir über den Hof gehen. „Wir machen dann Straußwirtschaft. Kleine Gerichte, Käse, Brot, Oliven. Ganz unkompliziert, einfach gute Weine mit Blick auf die Mosel.“
Der Gedanke gefällt mir. Es ist dieses Lebensgefühl, das viele an der Mosel suchen. Nicht inszeniert, sondern echt.

Christina erzählt, dass die Idee während der Corona-Zeit entstanden ist. „Wir waren immer stark im Export, vor allem in die USA. Meine Mutter hat das Weingut bis 2018 allein geführt und war ständig unterwegs. Als dann plötzlich alles stillstand, saß ich mit einer Freundin hier auf der Terrasse und dachte: eigentlich schade, dass wir diesen Platz gar nicht nutzen. Also haben wir einfach aufgemacht. Vier Tage lang. Es war sofort voll.“

Seitdem ist der Ausschank fester Bestandteil des Sommers geworden. Ein Ort, an dem Einheimische und Besucher zusammenkommen, mit einem Glas Doctor in der Hand.

„Natürlich exportieren wir immer noch“, erklärt sie. „Unsere Weine sind schon seit Adenauers Zeiten in den USA bekannt. Aber wir wollen, dass die Leute auch wieder herkommen, den Wein dort trinken, wo er wächst.“

Sie hält kurz inne, schaut hinüber zu den Reben und lächelt. „Wenn man hier aufgewachsen ist, sieht man das vielleicht als selbstverständlich. Aber jedes Mal, wenn ich von Reisen zurückkomme und die Mosel sehe, weiß ich wieder, warum ich das hier mache.“

Mit Bürgermeister Roman Bastgen durch Bernkastel

Gemeinsam mit Bürgermeister Roman Bastgen durch Bernkastel. Hier, am historischen Rathaus auf dem Marktplatz, spürt man, warum diese Stadt so besonders ist.

Nach den intensiven Tagen zwischen Weinbergen, Kellergewölben und Gesprächen mit den Menschen, die Bernkastel prägen, führte mich mein letzter Termin ins Rathaus. Gemeinsam mit Roman Bastgen, dem Stadtbürgermeister von Bernkastel-Kues, ging ich durch die historischen Räume, deren Geschichte bis ins Mittelalter zurückreicht. Die Wände sind geschmückt mit den Wappen von Bernkastel und Kues. Der Bär und der Krebs, Sinnbilder beider Ortsteile.

Roman Bastgen erzählte mir, dass der Name Bernkastel einer alten Legende nach vom „Bärenkessel“ stammt. Einer Senke, in der einst Bären gehaust haben sollen. Kues wiederum erinnert mit dem Krebs im Wappen an den berühmten Sohn der Stadt, Nikolaus von Kues, der bis heute in vielerlei Hinsicht Spuren hinterlassen hat.

Beim Spaziergang mit Roman durch die Altstadt wurde mir bewusst, wie lebendig hier Geschichte und Handwerk zusammenkommen. Die sorgfältig restaurierten Fachwerkhäuser aus dem 15. Jahrhundert sind weit mehr als Postkartenmotive. Sie erzählen von Handwerk, Handel und einer tiefen Verwurzelung in der Region. Und mittendrin steht das Spitzhäuschen, das es im Film bis in die Welt von Harry Potter geschafft hat: Seine Fassade diente als Inspiration für die berühmte Winkelgasse.

Das berühmte Spitzhäuschen in Bernkastel: 1416 erbaut, heute Weinstube und Wahrzeichen der Moselstadt. Ein besonderes Highlight für Besucher.

Nach dem Rundgang durch die Gassen führte uns unser Weg zunächst zu Bonbon-Willi in die historische Bonbonmacherei. Einem Ort, der Kindheitserinnerungen weckt und nach Zucker, Wein und Handwerk zugleich duftet. Hier entstehen die bekannten Riesling-Bonbons, handgemacht, Stück für Stück, mit echter Leidenschaft. Kein Internetverkauf, keine Massenware. Wer sie probieren will, muss selbst hierherkommen. Das passt zu Bernkastel: authentisch, echt, unverfälscht.

Im Anschluss besuchten wir noch das Schieferlädchen, wo traditionelles Handwerk in seiner ursprünglichen Form gepflegt wird. Ich schaute zu, wie Schieferplatten präzise zugeschnitten und zu feinen Kunstwerken geformt wurden. Jedes Stück ein Unikat, das die Landschaft der Mosel widerspiegelt. Mich beeindruckte, mit welcher Ruhe und Hingabe hier gearbeitet wird. Bernkastel ist eben nicht nur Wein- und Fachwerkstadt. Es ist auch ein Ort, an dem Handwerk und Tradition lebendig bleiben.

Was mich besonders beeindruckt: In dieser Stadt wird nichts einfach konsumiert. Man erlebt sie mit allen Sinnen, mit Zeit, mit einem Glas Riesling und vielleicht einem Bonbon auf der Zunge.

Als ich am letzten Abend über den Marktplatz gehe, färbt die tief stehende Sonne die Fassaden in warmes Licht. Der Fluss glitzert, irgendwo schlägt eine Kirchturmuhr. Ich denke mir: Manche Orte sind nicht nur schön, sie tun einfach gut.
Bernkastel gehört ganz sicher dazu.


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